Tempo

Musikalisch gesehen Folge 22

Musik ist durch die Noten nur relativ notiert und erst durch eine Tempoangabe werden ihre Zeitwerte in eine messbare Geschwindigkeit verwandelt. Grundlegend für eine erfolgreiche Umsetzung ist, daß Musikanten das gleiche Tempo halten, um eine harmonische und gemeinsame Leistung abzugeben. Ein Musikstück kann leicht gestört werden, wenn ein Sänger schneller oder langsamer singt als die anderen. Ein gemeinsames Tempo zu halten erfordert Konzentration und koordiniertes Zusammenspiel. Auch für das Publikum ist es wichtig, denn nur eine präzise dargestellte Klangfolge kann die Aufmerksamkeit fesseln und ein echtes Hörerlebnis vermitteln.

Erst seit dem 17. Jahrhundert ist es üblich, Noten mit Tempoangaben zu versehen, um ihre Geschwindigkeit festzuhalten und reproduzierbar zu machen. Leider können sie leicht missverständlich sein, insbesondere wenn sie sich nicht direkt auf die Geschwindigkeit beziehen. «Adagio, Ma non troppo, con affetto» – Piano Sonate № 28, Beethoven – sagt nicht klar aus, ob es nun schneller oder langsamer als im Schrittempo ist, welches an sich schon nicht besonders exakt ist. In der Romantik kamen vermehrt thematische Überschriften als Tempoangaben auf, die teilweise auch eine humorvolle Komponente hatten. Schumann schrieb beispielsweise Mit Humor, Etwas hanebüchen, oder Wie aus der Ferne. Diese thematischen Überschriften sollten dem Musiker eine Vorstellung davon geben, wie das Musikstück gespielt werden soll.1

Die Wahl des Zeitmaßes ist auschlaggebend für das Gelingen der Interpretation. Es ist wichtig, daß auch im schnellsten Tempo noch ein Moment der Ruhe bleibt, damit auch die kürzeste Note noch zu hören ist. Im Gegensatz dazu sollte das langsamste Zeitmaß in fließender Bewegung bleiben, um das Stück lebendig und ausdrucksvoll zu halten. Es ist jedoch auch wichtig zu beachten, daß Hörer, denen das Stück unbekannt ist, langsamer hören als Interpreten, die es genau kennen und auswendig singen. In unserer Zeit neigen Musiker dazu, immer schneller zu spielen; weshalb allerdings viele Interpreten im Laufe ihres Lebens häufig wieder ruhigere Zeitmaße fordern.2

Für Chorsänger kann es eine Herausforderung sein, gemeinsam das Tempo eines Stückes zu interpretieren, weshalb sie sich auf den Dirigenten verlassen müssen. Besonders beim ersten Einstudieren gelingt es einigen Sängern, das Tempo des Musikstücks am Dirigat abzulesen, während andere sich auf andere Anhaltspunkte wie das Klavier oder Schnipsen verlassen müssen. Es kommt dann bei einigen Stücken vor, dass an denselben Stellen immer wieder Verzögerungen oder ein plötzlicher Ruck auftreten, obwohl der Dirigent diese nicht anzeigt. Wenn Sänger nicht auf das Dirigat achten, können sie sich Variationen im Tempo angewöhnen, die später zu Disharmonie und Unstimmigkeiten führen. Es ist daher wichtig, daß alle Sänger auf das Dirigat achten, um sicherzustellen, daß die Musik harmonisch und ausgeglichen klingt.

Wenn die Sänger sich jedoch andererseits zu genau bei jedem Schlag des Dirigates neu am Tempo orientieren, kann dies jedoch dazu führen, daß die beschriebenen Ungenauigkeiten noch bestärkt werden und viel deutlicher hervortreten. Dies ist unbedingt zu vermeiden, indem stets das eigene Rhythmusgefühl benutzt wird. Ein guter Dirigent ist fähig, durch mehr oder weniger präzise Schläge anzuzeigen, wie stark er das Tempo beeinflussen möchte und der Sänger muß durch sein eigenes Rhythmusgefühl ein fließendes Tempo gewährleisten, damit es nicht zu beliebigen Sprüngen kommt.

  1. Friedrich Herzfeld. Lexikon der Musik. 1957, Ullstein, Berlin. 

  2. ibidem