Chorwettbewerb 1998

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1998 – 5. Deutscher Chorwettbewerb in Regensburg

Ja, tatsächlich wir durften die Hamburger Farben dort vertreten und waren unendlich stolz darauf, als einziger Hamburger Chor an diesem irren Fest teilzunehmen.

Für mich war das der dritte Chorwettbewerb.

1990 war ich in Stuttgart dabei gewesen – noch als St. Nikolai-Chorist und 1994 in Fulda, da als Neuer Knabenchor.

In Stuttgart gewannen wir einen zweiten Preis, den unsere Chorleiterin Brigitte Siebenkittel aus der Hand des damaligen Bundesinnenministers Dr. Wolfgang Schäuble, dem Präsidenten des Deutschen Bundestags bis 2021, entgegennahm. Ein Bild, dass sich auf meiner Netzhaut festgeätzt hat.

Dr. Schäuble stand damals auf seinen eigenen Füßen. Kein halbes Jahr später erlag er einem Attentat eines geistig verwirrten Menschen und ist seitdem an den Rollstuhl gefesselt.

Nun aber Regensburg: diese großen Chortreffen sind eigentlich immer ziemlich cool. Wir hatten Spaß und während Brigitte Siebenkittel und Marc Fahning die A-Karte gezogen hatten, indem sie die doch wohl eher langweilige Abschlussfeier absaßen.

Wir «Fußvolk» indes hatten einen ungeheuer lustigen Abend. Der deutsche Chorverband hatte auf dem Festivalgelände ein Bierzelt – klar, was sonst? – wir waren schließlich in Bayern! – aufstellen lassen. Und zu einem bayerischen Bierzelt gehört in Bayern natürlich auch eine bayerische Blasmusi, norddeutsch Blaskapelle, protestantisch-norddeutsch Posaunenchor.

Also, wir rein in das halbgefüllte und völlig überdimensionierte Zelt. Stimmung: nicht vorhanden. Die Blos’n dudelte lustlos vor sich hin. Man hörte förmlich aus jedem Ton: «I wüll herat aussi!» Trübe Tasse: randvoll.

Ich bin schon auf Trauerfeiern gewesen, bei denen es lustiger war.

Keiner tanzte, schunkelte oder sonstwas. Man starrte allaweil mehroderweniger ins Glas, des war’s.

Wir lösten jeweils unseren Gutschein für ein alkoholfreies, für Knaben, beziehungsweise alkoholisches, für Männer, Getränk ein. Nachdem «wir Großen» festgestellt hatten, dass bayerisches Bier sich nicht mit einem vernünftigen Holsten oder Flensi messen kann, überlegten wir, wie wir diese Trübe-Tassen-Party aufmischen könnten.

Die Initiative übernahm Moritz von Iljin, damals Alt. Er schnappte sich die Jungs und ging mit ihnen vor das Zelt. Die Musik machte Pause und die ohnehin klägliche Stimmung sank auf den tiefstmöglichen Nullpunkt.

Da zogen die Knaben mit «Hei-ho, Hei-ho, wir sind vergnügt und froh!» – vergleiche «Schneewittchen und die sieben Zwerge» von Walt Disney – in das Zelt ein.

Allen voran Moritz, der das wie ein Tambourmajor im Stechschritt dirigierte.

Und ab da war es als ob man ein Zweieurostück von der Zahlenseite auf die Bundesadlerseite gedreht hatte.

Plötzlich kippte die Stimmung ins Positive. Das war also irgendwie der zündende Funke, der den Saal zum Kochen brachte.

Auch die Blasmusi war wie ausgewechselt. So, wie die plötzlich spielten, hätten sie jedem Münchner Oktoberfest all Ehre angetan. Die konnten plötzlich alles von «Ein Prosit der Gemütlichkeit» über den «Bayerischen Defiliermarsch» bis hin zu «Alte Kameraden». Die waren wie ausgewechselt.

Spät wankten die Männer, sorgsam geführt von der Hand der nüchternen Knaben, ins Hotel zurück.

Nun entstand ein kleines Problem; einer der Männer, nennen wir ihn «LS» hatte im Bierzelt zarte Bande zu einer Sängerin des Mädchenchors aus – egal! – geknüpft. Man hatte sich sogar schon geküsst und nun war es doppelt schwer an der Hotelpforte voneinander Abschied zu nehmen.

Watt nu? Für den Wettbewerb hatten wir den Männerchor ein wenig «angefettet», das hieß, wir hatten einige Gasttenöre und Gastbässe mitgenommen.

Ein Gasttenor war Prof. em. XXX, circa 60+ Jahre alt. Ein feiner Kerl. Guter Chortenor mit lebenslanger Chorerfahrung.

Das Problem: wie schmuggeln wir die junge Dame am Portier vorbei?

Prof. em. XXX hatte die Lösung: er wickelte eine Regensburger Stadtkarte aus und verwickelte den Portier in allerhandlei Fragen über diverse Sehenswürdigkeiten in Regensburg. Die beiden diskutierten immer noch, als wir schon lange «Mission accomplished» melden hätten können.

Wir anderen nahmen das junge Mädchen in die Mitte, zogen ihr meinen Trenchcoat über und schleusten sie so an der Pförtnerloge vorbei. Der Portier war da voll dabei, Prof. em. die steinerne Brücke zu erklären.

Der Männerstimm «LS» teilte eigentlich das Zimmer mit einem anderen Männerstimm. Der wurde kurzerhand ausquartiert und damit hatten «LS» und seine holde Maid ein Zimmer für sich.

Leider wurde er bei mir einquartiert. Er schnarchte. OK, tue ich auch, wie auch mein Mitbewohner. Aber zu dritt in zwei Hotelbetten ist schwierig, gelinde gesagt, zu schmal. Und der in der Mitte hat keine Decke.

Ich verbrachte die weitere Nacht im Sessel.

Zurück zur Handlung: Was da in jenem Zimmer passiert ist? Ist völlig egal? Nebensächlich. LS wirkte jedenfalls nicht unglücklich.

Nächsten Morgen haben wir die junge Dame so in ihr Hotel zurück geschmuggelt, dass nicht bemerkt wurde, dass sie nachtsüber nicht in ihrem eigenen Bett gelegen hatte.

Das war Regensburg 1998.

Leider habe ich heute erfahren, dass er vor einigen Jahren verstorben ist.