Der Trugschluss. Musikalisch gesehen

Ein Schluss ist in der Musik eine Folge von Akkorden, mit der man ein Stück oder eine Phrase in diesem beenden kann. Er besteht normalerweise aus einer Kadenz, die wie folgt aufgebaut ist. Sie beginnt mit dem Akkord auf dem Grundton, dann nutzt sie die öffnende Wirkung der Subdominante, auf der Quarte, die wieder auf den Grundton hinführende Dominante, Quinte, und endet wie erwartet auf der Tonika, dem Grundton. Man kann jedoch auch mit einer Kadenz den Eindruck erzeugen, dass das Stück gleich enden müsste, aber am Ende einen Ausweichklang statt des Grundtons setzen. Dazu baut man den letzten Akkord der Kadenz auf der Sexte auf, er heißt dann in Dur Tonikagegenklang Tg. Wem das zu kompliziert ist, dem hilft vielleicht zur Übersicht ein Blick auf die Funktionsharmoniken in der folgenden Notenzeile.

music snippet

Oder er guckt sich im Stück «Gott bhüte dich» von Leonhard Lechner aus dem Programm des Knabenchores die Stelle an, in der es heißt: «Ach scheiden macht –», gefolgt von «– uns die äuglein nass.» Der Trugschluss in der ersten Stellen ist im folgenden Notenbeispiel zu sehen, während die zweite Stelle einen normalen Schluss darstellt. Daran kann man gleich sehen, wozu man einen Trugschluss einsetzen kann: Er erhöht die Schlusswirkung, indem er den eigentlichen Schluss hinauszögert; der Zuhörer bleibt also einen Moment länger auf den wirklichen Schluss gespannt.

music snippet

Für Profis: Derjenige, der Quintparallelen in den Noten oben ausmacht, sei darauf verwiesen, dass Leonhard Lechner in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts lebte, als Stimmführungsregeln noch in der Entwicklung waren, Verstöße gegen diese nicht als solche erkannt wurden und der kreative Einsatz somit erlaubt war. Fest standen sie erst in der auf die Renaissance folgende Epoche, dem Barock.