Alpenandacht

Perlen von Holstein Folge 119

Ein weiterer Tag im Bus von KdF-, ähm, KDE-Reisen stand uns bevor. Unser nächstes Reiseziel war Darmstadt. Das Einsteigen dauerte nicht lange, die Claims in dem Gefährt waren mittlerweile abgesteckt. Es gab eine immerwährende Sitzordnung. Die hinteren Reihen gehörten uns Männern. Die einzige Person mit Sopranstimme, die hier geduldet wurde, war Rosa, die kleine Schwester von Max-Frederick und Frans. Welcher Mann wo saß, wurde locker gehandhabt. Einzig David und ich bestanden darauf, dass die beiden rechten Sitze in der vorletzten Reihe uns gehörten.

Morle hatte sich bislang eher in den vorderen Reihen bei den älteren Erwachsenen herumgetrieben. Manchmal hatte er sich auch zu Laurence begeben und war mit ihm in den Bizeps-Vergleich getreten. Heute aber suchte er den Kontakt zu uns. Er setzte sich auf die Rückbank und machte Vorschläge, wie man Marc zukünftig noch ein wenig mehr auf die Palme bringen könnte.

«Leute, ihr wisst ja alle, wie sehr Marc das liebt, wenn man was von ihm will und dann ruft: ‹Ma-arc!› Und deshalb finde ich, dass wir jetzt mal alle unseren lieben Marc hierherholen und ihn mit irgendwas nerven. Statt ihn aber nur zu rufen, würde ich sagen: Wir singen jetzt mal alle so einen schönen Jazz-Akkord, so: Marc, Marc, Marc, Marc!»

Ein Vorschlag, den wir nur zu gerne umsetzten.

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Der Gerufene jedoch winkte mit überlegenem Lächeln ab. Wir beschlossen deshalb, lieber Drei-Tage-Bart von den Ärzten zu singen.

«Du bist verhältnismäßig cool, hast volles Haar und festen Stuhl, du bist nicht zu dünn und nicht zu dick –»

Danach wollte Morle mit uns einmal über ganz andere Themen sprechen.

«Ey, habt ihr Catwoman gesehen?», fragte er.

«Nee», erwiderte David, «der soll doch richtig schlecht sein.»

«Ja», sagte ich, «Halle Berry hat doch sogar eine Goldene Himbeere dafür bekommen.»

«Ja, ihr habt recht, es ist ein Scheiß-Film», sagte Morle, «Aber alleine wegen Halle Berry müsst ihr euch den trotzdem mal reinziehen, ey. Es ist einfach so geil, den Arsch mal in Leder zu sehen.»

Darauf wusste ich nicht wirklich etwas zu erwidern, David ebenso wenig. Die anderen Männer reagierten schon interessierter, was Morle jedoch nicht zu befriedigen schien. Er versuchte es mit einer anderen Frau.

«Ey, ihr kennt doch bestimmt den Telefonanbieter Alice, mit diesem Model als Werbefigur, oder?», fragte er.

«Klar», antwortete ich.

«Dann habt ihr bestimmt auch schon das riesige Plakat gesehen, das die am Hauptbahnhof aufgehängt haben, wo sie in so einem kurzen Kleid dasteht, das sich im Wind bewegt. Ey, als ich das erste Mal davor stand, ey, ich stand echt minutenlang mit weit aufgerissenen Augen da und habe überhaupt nichts mehr mitgekriegt, ey.»

Wieder erntete Morle nicht die erhoffte Reaktion. Er erkannte wohl, dass es alles nichts half. Wenn er mit uns ins Gespräch kommen wollte, musste er mit uns über unser Lieblingsthema reden.

«Ey, Lennart und David, ihr spielt doch bestimmt World of Warcraft, oder?»

«Nicht wirklich», sagte ich, «ich sehe das nicht ein, ein Spiel für fünfzig Euro zu kaufen und dann noch mal jeden Monat irgendwelche Gebühren abdrücken zu müssen. Für mich ist das Abzocke.»

«Für mich auch», sagte David, «Ich habe das zwar mal ausprobiert, fand das aber kacke, dass du wie in jedem Rollenspiel am Anfang erst mal Kammerjäger spielen sollst. Ich bin ja an sich ein totaler Fan von Blizzard-Spielen, aber das muss nicht sein. Da spiele ich lieber weiter Warcraft II und III

«Ach kommt, ihr müsst das beide wirklich mal ausprobieren und auch ein bisschen länger spielen. Das ist sowas von geil –»

Ging das schon wieder los. Seit einem Jahr nun grassierte eine Seuche namens World of Warcraft. Nirgendwo war man vor Menschen mehr sicher, die dieses Killerspiel spielten. Hatten die dann einmal angefangen, davon zu erzählen, hörten sie so schnell nicht mehr damit auf. Schon gar nicht, wenn sie erfuhren, dass man selbst kein World-of-Warcraft-Jünger war. Dann sahen sie es als ihre Pflicht an, einen zu missionieren. Und ganz gleich, auf wie viel Desinteresse sie dabei stießen, immer glaubten sie, erfolgreich gewesen zu sein. War es soweit, geschah Folgendes: Spielten sie für die Allianz, rieten sie einem dazu, es ihnen gleichzutun, denn in der Horde verkehrten nachweislich nur Idioten. Spielten sie für die Horde, erzählten sie einem genau dasselbe über die Allianz.

Morle übersprang diesen Teil interessanterweise, sondern lenkte das Augenmerk auf einen eher unverhofften Aspekt des World-of-Warcraft-Universums.

«Wisst ihr, das Geilste an World of Warcraft ist ja: Dadurch, dass das halt wirklich so eine große, eigene Welt mit so krass vielen Möglichkeiten ist, hat sich schon eine richtige Kultur gebildet. Es gibt sogar World-of-Warcraft-Witze. Die meisten gehen auf Kosten der Paladine und das zu Recht. Ihr müsst wissen: Paladine halten krass viel aus und richten krass wenig Schaden an. Deshalb dauert das Stunden, die umzubringen oder von ihnen umgebracht zu werden. Ein Witz zu dem Thema geht so: Treffen sich zwei Paladine. Sagt der eine: ‹Wollen wir kämpfen?› Sagt der andere: ‹Geht nicht, ich muss in fünf Stunden los.› Noch besser ist aber: Sitzen drei Leute abends am Lagerfeuer. Sagt der erste: ‹Ich kann nicht kämpfen.› Sagt der zweite: ‹Ich kann nicht heilen› Darauf der dritte: ‹Ja, ich bin auch Paladin.› Am besten finde ich aber immer noch: Paladine sind wie Atommüll. Man kann sie nicht vernichten, also ignoriert man sie.»

Imanuel hatte die ganze Zeit stumm dagesessen. Nun sah er seine Chance gekommen, das Gesprächsthema zu wechseln.

«Wisst ihr ja, über welchen Witz ich mich als Kind richtig totgelacht habe? Ein Mann trifft in einer Wüste auf eine Schildkröte. Sie sagt: ‹Nee, nee, nee, nee!› Darauf tritt der Mann die Schildkröte weg. Eine halbe Stunde trifft er sie nochmal. Sie sagt immer noch: ‹Nee, nee, nee, nee!› Er tritt sie wieder weg. Wieder eine halbe Stunde später trifft er sie noch einmal. Sie sagt: ‹Nee, nee, nee, nee!› Darauf fragt der Mann sie: ‹Was ist los? Warum sagt du immer: Nee, nee?› Die Schildkröte: ‹Nee, nee, nee, nee! So viel Sand und keine Förmchen.»

Niemand lachte.

Ich wollte einen gehässigen Kommentar abgeben, doch Morle fuhr mir dazwischen: «Sag nichts, Lennart», sagte er, «es gibt Witze, die kann man nur mit Stille strafen.»

«Dein Wort in Gottes Ohr, haha», erwiderte ich.

«Ja, das ist wirklich ein Sparwitz», sagte Imanuel, «Aber als Kind fand ich den halt so geil. Als meine Schwester mir den erzählt hat, da habe ich mich wirklich so totgelacht.»

«Imanuel», lenkte Morle ein, «ich glaube, ich muss dir den gleichen Witz noch mal in gut erzählen. Ein Maharadscha reitet mit seinem gesamten Gefolge durch die Wüste. Da hört er plötzlich, wie eine Stimme sagt: ‹Eins, zwei, drei, vier, fünf –› Er lässt seine Sklaven erschießen und reitet weiter. Da hört er die Stimme wieder: ‹sechs, sieben, acht, neun, zehn –› Er lässt seine Hofdiener erschießen und reitet weiter. Die Stimme ist immer noch da. Sie sagt: ‹elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn –› Er erschießt eigenhändig seine Leibgarde und reitet weiter. Als er die Stimme wieder hört, erschießt er sich selbst. Was hat der Maharadscha gehört?»

«Na?

«Reval, die einzige Zigarette, die zählt.»

Das kam bei uns in der Tat wesentlich besser an als der Witz Imanuels. Einen hatte Morle aber noch.

«Jetzt muss ich euch aber mal einen wirklich richtig geilen Witz erzählen. Ein Philosoph, ein Physiker und ein Mathematiker stehen auf dem Dach eines brennenden Hauses. Der Philosoph sagt: ‹Wenn es einen Gott gibt, wird er meinen Fall bremsen›, springt runter und stirbt. Der Physiker springt hinterher, versucht, durch Spreizen der Arme seinen Luftwiderstand zu erhöhen und langsamer zu fallen, schlägt auf und stirbt. Der Mathematiker setzt sich hin und fängt an zu rechnen. Er rechnet und rechnet, das Feuer kommt höher und höher. Als es ihn fast erreicht hat, springt er und fliegt nach oben weg. Was ist passiert?»

«Na?»

«Vorzeichenfehler.»

Verhaltenes Lachen.

«Kommt, der ist doch mal richtig geil», sagte Morle.

Das war er wohl. Ich konnte trotzdem nicht darüber lachen. Vorzeichenfehler waren mindestens zur Hälfte für meine Verzweiflung im und am Mathematik-Unterricht verantwortlich.

Unser Gespräch fand ein jähes Ende, als Herr Kaiser eine CD einlegte. Aus der Sprechanlage erklang eine mittlerweile nur allzu vertraute Melodie: Das Titellied von Die Kinder des Monsieur Mathieu, dem Knabenchor-Film aller Knabenchor-Filme.

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Imanuel und die Knaben sangen begeistert mit. David und ich reagierten dagegen mit Unverständnis.

«Boah, bitte nicht schon wieder diese Jaller-Orgie.»

Die Kinder des Monsieur Mathieu war vergangenes Jahr Grund für einen gemeinsamen Kinobesuch des Hauptchores gewesen. Ich war aufgrund meines Stimmbruchs nicht mitgekommen. Erst Monate später hatte ich den Film auf DVD gesehen. Ich hatte ihn durchaus nicht unzumutbar gefunden, aber eben auch nicht allzu spannend. Er war für mich wie einer jener Streifen gewesen, in die meine Mutter mich alle paar Monate einmal hineinschleppte, damit ich nicht nur Ballerfilme sah. Einer, zu dem ich ein gediegenes Nullverhältnis hatte.

Unser Chorleiter schien das nicht akzeptieren zu können. Bei jeder Gelegenheit zitierte er die Szene, in der Monsieur Mathieu einen seiner Chorknaben zu seinem Notenständer degradiert hatte. Außerdem hatte er das das Titellied in unser Repertoire aufgenommen. Es klang dem des Killerspiels Battlefield 1942 an einer Stelle geradezu verdächtig ähnlich. Dessen Anfang ging nämlich so:

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Welch ein Segen, dass es sich um ein Stück handelte, bei dem wir Männer nicht gefragt waren.

Ich sah aus dem Fenster. Unser Weg nach Darmstadt führte uns abermals durch die Schweiz. Der Bus überfuhr gerade eine kurven- und brückenreiche Autobahn, die sich beeindruckend durch das Bergmassiv schlängelte. Obwohl es Herbst war, erstrahlten seine Hänge in sattem Grün. Der Himmel war wolkenlos.

Ein Anblick, von dem ich mich nicht lösen konnte. Endlich hatte ich gefunden, was ich in Mailand so vergeblich gesucht hatte: Einen Ort, an dem man im Killerspiel abseits des eigentlichen Kriegsschauplatzes ein wenig zur Besinnung kam. Die antiken Ruinen fehlten zwar, die Bergdörflein mit ihren Kirchtürmen machten diesen Mangel jedoch mehr als wett. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe und ließ meine Gedanken in die stille, ach, missgönnte Ferne schweifen.

Es war wirklich schade, dass mir noch nicht eher aufgefallen war, was die Schweiz für ein schönes Land war. Um nicht zu sagen: Das Land meiner Träume. Und das Land meiner Killerspiele. Die Berge nämlich gaben einem das Gefühl, dass man abgeschlossen war vom Rest der Welt. Der Welt mit ihren Terminen, Verpflichtungen und Klassenkameradinnen, die zum Vertrauenslehrer rannten, weil ich gedroht hätte, sie umzubringen.

Ich konnte es von daher nur begrüßen, dass wir gegen Nachmittag in einem Dorf eine Zwangspause einlegen mussten. Der Busfahrer hatte sich verfahren und musste eine neue Route ermitteln.

Erneut ärgerte es mich, keinen Fotoapparat zu haben. Der Anblick dieser Idylle würde mich ohne jeden Zweifel in zwei Jahren in einen nostalgischen Rausch versetzen. Nichts daran würde schließlich an die strapaziöse Herumfahrerei erinnern, die kennzeichnendes Merkmal dieser Reise war.

Das Titellied von Die Kinder des Monsieur Mathieu war mittlerweile verklungen, die anderen Männer hatten das Gespräch wieder aufgenommen. Ausgerechnet David wünschte sich jedoch jetzt Ruhe. Er hatte sich vorgenommen, auf dieser Fahrt Sofies Welt durchzulesen. Schullektüre. Am Anfang hatte er sich für das Werk nur wenig erwärmen könnten. Inzwischen jedoch schwärmte er mir unablässig einen vor von den Abenteuern von Sofie und irgendeinem Major. Ich konnte den wirren Schilderungen nie so recht folgen.

Davids Wunsch nach Ruhe war begründet und nachvollziehbar. Die anderen Männer taten sich dennoch schwer, ihm zu entsprechen.

«Also mal ehrlich, David, so laut wie du die ganze Zeit bist, musst du dich nicht wundern, dass jetzt für dich auch keiner leise sein will.»

«Sehe ich auch so. Alleine, was du zusammen mit Lennart gestern für Scheiße gebaut hast, als ich auf dem Rückweg von Mailand schlafen wollte.»

«Richtig. Und warum liest du das blöde Buch nicht einfach zuhause?»

David versuchte es mit Argumenten. David versuchte es mit Moralvorträgen. Es half ihm alles nichts. Die anderen blieben laut. Besonders Gaming-Max tat sich dabei hervor. Offenbar war er heute auf Krawall gebürstet. Schließlich versuchte David es mit Drohungen.

«Ey, Max», sagte er an Gaming-Max gerichtet, «weißt du eigentlich, was passiert, wenn man die Hand von jemandem, der schläft, in lauwarmes Wasser hält? Weißt du, was ich mit deiner Hand heute Nacht machen werde, wenn du jetzt nicht sofort die Fresse hältst?»

Wenn man die Hand eines Schlafenden in lauwarmes Wasser hielt, machte sich derjenige in die Hose. Gaming-Max wusste das ganz genau. David hatte es uns mehr als einmal erzählt.

Gaming-Max ließ sich nicht einschüchtern. Er ging gar auf Konfrontationskurs und fing an, Ärzte-Lieder zu grölen.

«Meine Freunde sind homosexuell, meine Freunde sind alle kriminell. Sie ficken sich ganz einfach so gegenseitig in den Po –»

David baute seine Drohkulisse weiter aus.

«Hach, Max! Mit jeder Sekunde, die du laut bist, werden es mehr Liter sein, die du dir in die Hose pisst!»

Gaming-Max sang weiter: «Japanische Terroristen –»

«Plitscher-plätscher, ein Liter –», sagte David.

«– mit runtergelassenen Hosen –»

«Plitscher-plätscher, zwei Liter –»

«– bewerfen alte Damen –»

«Plitscher-plätscher, drei Liter –»

«– mit Katzenfutter von Aldi!»

Da erkannte David wohl, dass es nur einen Ausweg gab: Er musste uns die Stille schmackhaft machten. Sein Gesicht nahm einen ernsten, bedeutungsschwangeren Ausdruck an. Mit tiefer Stimme verlieh er der Weisheit seiner Worte Ausdruck.

«Stille. Stille ist der Ursprung. Ohne die Stille gelangt der Mensch niemals zur wahren Vernunft. Denn nur durch die Stille ist es möglich, die Welt, wie sie wirklich ist, zu erkennen und sich nicht von seinen Sinneseindrücken täuschen zu lassen. Geräusche sind nur eine Illusion, den die Höhere Macht erfunden hat, um uns von der Vernunft fernzuhalten. Wenn wir diese nämlich erlangen, wird es uns möglich sein, die Ketten dessen abzulegen, was wir torhafterweise als Realität bezeichnen. Stille bedeutet Freiheit, deswegen tut die Höhere Macht alles, um sie zu verhindern und lässt uns Geräusche wahrnehmen, die wir in unserer Einfältigkeit tatsächlich einen Bestandteil der Natur halten.»

Gaming-Max beeindruckte das wenig. Morle hingegen bekam einen schallenden Lachkrampf.

«Mensch, David, jetzt fehlt eigentlich nur noch die passende Musik und die Show ist perfekt, ich schwör’ es dir», sagte er und sang die ersten Takte von Das Phantom der Oper.

Ich konnte Morle nur beipflichten: «Haha, ‹die Höhere Macht›!», sagte ich, «Und: ‹Geräusche sind nur eine Illusion.› Ach, David, du bist manchmal echt so geil, weißt du das?»

«Naja, im Prinzip stimmt das ja», erwiderte David, «Im Prinzip gibt es Geräusche ja wirklich nicht. Das sind doch letztlich nur Schwingungen, die wir als Geräusche wahrnehmen, weil unsere Ohren und unser Gehirn sie dazu machen.

Weise Worte.

«Jetzt, wo du es sagst: Stimmt, da ist was dran. Lustig, ich habe noch nie so darüber nachgedacht.»

«Das solltest du aber mal wirklich tun. Das ist nämlich das Geile an Philosophie, dass dir plötzlich auffällt, dass vieles, was du für gegeben hältst, eigentlich gar nicht gegeben ist. Geil ist in dem Zusammenhang auch die Erkenntnis: Die einfachsten Formen sind eigentlich die schwierigsten. Nehmen wir jetzt einfach mal ein Quadrat. Man denkt ja erst mal, dass das etwas total Alltägliches ist. Aber in der Natur kommen vollkommene Quadrate überhaupt nicht vor.»

«Naja», sagte ich und zeigte auf den Becherhalter meines Klapptisches, «aber das da ist jetzt schon ein ziemlich perfekter Kreis, oder?»

«Ja, wenn du ihn dir so mit bloßem Auge ansiehst. Aber wenn du ihn mal unterm Mikroskop betrachtest, wirst du feststellen, dass er eigentlich Milliarden Erhebungen hat und somit kein Kreis, sondern ein Milliardeneck ist.»

Wir hatten die Alpenlandschaften der Schweiz mittlerweile hinter uns gelassen. An ihre Stelle waren die Weinberge Baden-Württembergs getreten. Zumindest war das zu vermuten, denn was draußen vor sich ging konnte man nicht sehen, so finster war es geworden. Für David hieß das, dass er doch noch dazu kommen würde, Sofies Welt zu lesen. Gaming-Max und alle anderen waren zu müde, um noch weiter Lärm zu verursachen. Ich nickte gar einmal für längere Zeit ein. Als ich wieder aufwachte, präsentierte Max-Frederick mir neckisch grinsend das Display seiner Digitalkamera. Es zeigte, wie ich mit weitaufgerissenem Munde schlief. Ein Anblick, der mich in zwei Jahren in einen nostalgischen Rausch versetzen könnte. Darüber lachen konnte ich tatsächlich schon jetzt. Max-Frederick war schließlich eben Max-Frederick.