Eine Begegnung mit Gott

Perlen von Holstein Folge 4

Exsultate Deo war ein Lied über Gott. ‹Exsultate Deo› hieß ‹Jauchzet dem Herrn›.

Das war bei Klassik nichts Ungewöhnliches. Im CD-Schrank meines Vaters füllten Lieder über Gott ganze Reihen. Sympathisch waren sie mir deswegen aber noch lange nicht.

Bei uns zuhause machte man sich nichts aus Religion. Wir beteten nicht, gingen nicht in die Kirche und die Bibel im Wohnzimmerregal war sicher vor meiner Geburt das letzte Mal angerührt worden. Meine erste Begegnung mit Gott hatte ich so beim Kindermalkurs der Hamburger Kunsthalle gehabt.

Man hatte uns zum einem Gemälde geführt, das wie ein Comic aus mehreren Bildern bestanden hatte. Auf allen war ein dunkelroter Mann zu sehen gewesen. Sein grimmiger Blick hatte mir Angst eingejagt. Ich war froh gewesen, nicht alleine zu sein.

«Na, was seht ihr hier?», hatte Kursleiterin Hildegund gefragt.

«Hier macht Gott das Wasser. Hier macht Gott Sonne, Mond und Sterne. Hier macht Gott die Tiere», hatte ein Mädchen geantwortet.

Abscheu hatte sich in mir geregt.

Wenn ich etwas nicht ausstehen konnte, dann waren das Angeber und Wichtigtuer. Und dieser Gott war ja wohl ganz eindeutig einer.

Sonne, Mond und Sterne. Wasser. Tiere. Das war Natur! Das war einfach da, das hatte doch nicht irgendjemand gemacht. Und wie die Stimme des Mädchens klang, wenn sie von diesem Gott redete. Nun ja, manche Menschen waren halt bescheuert. Das wusste jeder, der sich schon einmal auf einen Spielplatz begeben hatte.

Damals war ich drei gewesen.

Meine zweite Begegnung mit Gott war nichteinmal ein Jahr später gefolgt. Kollex, ein strenggläubiger Heini aus unserer Nachbarschaft, hatte alle Kinder zum Kurztrip nach Bülkau geladen.

Schon beim ersten Frühstück war ich mit seiner Lehre in Konlikt geraten.

«Das wird uns Gott nie verzeihen, wenn wir Essen wegwerfen!», hatte er mir erklärt, «Weil so viele Menschen auf der Welt hungern!»

Wie groß diese Welt war, hatte er mir mit einer Handbewegungen zu veranschaulichen versucht.

Das hatte mich jedoch nur mäßig beeindruckt. Ich hatte mich noch immer geweigert, meine Erdbeermilch auszutrinken. Zur Strafe hatte mich eine der mitangereisten Damen im Schlafraum eingesperrt. Den ganzen Vormittag hatte ich hier verbracht.

Bewirkt hatte das wenig. Ich hatte danach weder meine Erdbeermilch ausgetrunken, noch gewusst, wer oder was dieser Gott war.

Meine Mutter hatte es mir dann irgendwann erklärt: Gott war jemand, der irgendwo oben im Himmel wohnte. Einige Menschen hielten ihn für unglaublich wichtig, meinten gar, er würde alles für sie tun. Sie mussten nur die Hände falten und darum bitten. Dabei wussten sie nichteinmal, ob es ihn gab. Sie glaubten es lediglich. So wie ich an den Weihnachtsmann geglaubt hatte. Der hatte aber stets pünktlich geliefert. Gott tat das laut meiner Mutter nicht.

Zu diesen Menschen zählte ganz eindeutig Kollex, der die Erdbeermilch schließlich selbst ausgetrunken hatte. Und zu diesen Menschen zählte ganz eindeutig Alessandro Scarlatti, der Exsultate Deo komponiert hatte.

Auch er wollte, dass man etwas für Gott tat. Es verlangte einem allerdings nicht ganz so viel Aufopferungsgabe ab wie das, was Kollex vorschwebte. Man sollte dem Herren jauchzen und ihm zujubeln. Das war tatsächlich der einzige Inhalt das Stückes: ‹Exsultate Deo› und ‹Jubilate Deo›. Dazwischen ‹Alleluia›. Die Lieder, die ich bisher so gesungen und gehört hatte, waren da doch deutlich gehaltvoller gewesen.

Sehr merkwürdig auch, dass es Alleluia hieß und nicht Halleluja. Ich war mir absolut sicher, dass sie bei Werner – Beinhart! immer ‹Halleluja› sangen. Genauer: ‹Hal leluja, ich mach’n Flaschbier auf! Heute wird geheiratet, worauf ich einen sauf!›.

Es war natürlich gut möglich, dass sie ‹Alleluia› sangen. Vielleicht sangen sie auch etwas völlig Anderes. In Liedtexten kamen ja häuig Wörter vor, die man nicht kannte oder nicht verstand und sich dann irgendwie zurechthörte. So war es bei mir jedenfalls schon immer gewesen.

Etwa bei dem Lied Otto, ach Otto. Ich hatte es Benjamin Blümchen auf einer Musikkassette singen hören, lange bevor ich mein erstes Hörspiel mit ihm gehabt hatte. Den Namen Otto hatte ich dementsprechend nicht gekannt. So hatte ich immer Auto verstanden. Der Text hatte also gelautet: ‹Auto, ach Auto, wo bist du denn nur? Mein bester Freund, wo kannst du nur sein?›.

Mir war das vollkommen plausibel erschienen. Es war ja schon traurig, durch die Straßen zu laufen und sein Auto nicht zu inden. Alleine die Vorstellung, dass das Ärmste irgendwo mutterseelenallein herumstand und fror. Mich hätte das auch bewogen, meinen Gefühlen mit einem Lied Ausdruck zu verleihen.

Was nun das Halleluja anging, war ich früher durchaus bereit gewesen, es als Hallo, Julia zu verstehen. Das hätte allerdings nur wenig Sinn ergeben: ‹Hallo, Julia, ich mach’n Flaschbier auf!› Eine Julia hatte es bei Werner – Beinhart! schließlich keine gegeben. Dann doch lie-

ber irgendein Quatschwort, von dem man nicht wusste, was es eigentlich bedeutet. Also Halleluja. Oder Al leluia.

Wie auch immer.

Mein Vater kannte Exsultate Deo gar nicht, hatte sehr wohl aber von dem Komponisten schon einmal gehört. Meiner Mutter hingegen war das Stück ein Begrif. Es kam nämlich in Die Trapp-Familie in Amerika vor. Grund genug, sich den Film gemeinsam mit mir anzusehen.

Als Chorknabe müsste ich den so oder so kennen, meinte sie.

Die Szene mit Exsultate Deo kam recht früh. Es war das Eröfnungsstück beim ersten Konzert der Trapp-Familie auf amerikanischem Boden. Keine allzu kluge Entscheidung. Ein Großteil des Publikums verließ nach wenigen Takten den Saal.

Ein Debakel, das nicht ohne Folgen blieb. Monatelang wollte kaum einer die Trapps bei sich auftreten lassen. So standen sie bald kurz vor dem inanziellen Ruin. Dann aber sahen sie ein, dass mit Klassik in Amerika eben kein Blumentopf zu gewinnen war. Fortan sangen sie Oh! Susanna und eroberten die Herzen des Publikums im Sturm.

Nun, das würden wir wohl nicht nötig haben. Die Konzerte des Knabenchors, die ich in meiner Vorchorzeit so besucht hatte, waren jedenfalls immer rappelvoll gewesen. Ich lebte ja – Gott sei Dank – in einer Stadt der Kenner und Liebhaber.